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12. Juli 2022

Wie berechnet sich der Pflichtteil bei einer Immobilie?

Wie berechnet sich der Pflichtteil bei einer Immobilie?

Hat ein Erblasser durch Testament oder Erbvertrag einen pflichtteilsberechtigten gesetzlichen Erben (Kinder, Enkelkinder, Eltern oder Ehegatten) enterbt, kann dieser gegen den Erben seinen gesetzlichen Pflichtteil geltend machen. Der Pflichtteil ist ein Geldzahlungsanspruch, der sich gemäß § 2311 BGB nach dem Wert des Nachlasses zum Zeitpunkt des Todes richtet.

Hat ein Erblasser durch Testament oder Erbvertrag einen pflichtteilsberechtigten gesetzlichen Erben (Kinder, Enkelkinder, Eltern oder Ehegatten) enterbt, kann dieser gegen den Erben seinen gesetzlichen Pflichtteil geltend machen. Der Pflichtteil ist ein Geldzahlungsanspruch, der sich gemäß § 2311 BGB nach dem Wert des Nachlasses zum Zeitpunkt des Todes richtet.

War der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes Eigentümer eines Grundstücks bzw. einer Immobilie, so ist auch diese Nachlassimmobilie bei der Berechnung des Pflichtteils zu berücksichtigen. Als Ihre Kanzlei für Erbrecht in München und Stuttgart werden wir häufig mit der Frage konfrontiert, mit welchem Wert die Immobilie zu berücksichtigen ist.

Hat ein Pflichtteilsberechtigter Anspruch auf Wertermittlung der Immobilie?

Die kurze und einfache Antwort lautet: Ja! Denn gemäß § 2314 BGB hat der Pflichtteilsberechtigte einen Wertermittlungsanspruch. Sofern der Pflichtteilsberechtigte diesen Anspruch geltend macht, muss der Erbe auf Kosten des Nachlasses ein Sachverständigengutachten in Auftrag geben. Er muss dann die Wertermittlung durch einen Sachverständigen veranlassen und dulden.

Inhaltlich erfordert die Erfüllung des Wertermittlungsanspruchs nicht nur die Vorlage eines Sachverständigengutachtens, sondern auch die Vorlage von Unterlagen, die den Pflichtteilsberechtigten in die Lage versetzen, seinen Pflichtteil zu berechnen. Bei Grundstücken bzw. Immobilien bedeutet dies, dass der Erbe beispielsweise Grundbuchauszüge, Grundrisse, Wohnflächenberechnungen oder Mietverträge vorlegen muss. Hierzu gibt es immer wieder neue Gerichtsurteile. Ihre RechtsanwältInnen für Erbrecht werden hier die sich ständig ändernde Rechtsprechung für Sie recherchieren.

Kommen für die Berechnung des Wertes der Immobilie mehrere Bewertungsmethoden in Betracht, obliegt die Auswahl der richtigen Bewertungsmethode allein dem Sachverständigen. Der Pflichtteilsberechtigte hat keinen Anspruch auf Bewertung der Immobilie anhand einer bestimmten Bewertungsmethode. Er muss aufgrund der Angaben im Gutachten jedoch in die Lage versetzt werden, die Bewertung selbstständig anhand einer anderen Methode durchzuführen.

Auch muss das Gutachten durch einen unparteiischen Sachverständigen erstellt werden, der allerdings vom Erben auszuwählen ist. Insbesondere hat der Pflichtteilsberechtigte keinen Anspruch auf einen öffentlich bestellten oder vereidigten Sachverständigen.

Der Wertermittlungsanspruch muss im Übrigen rechtzeitig vor Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist geltend gemacht werden.

Wie wird der Wert der Immobilie korrekt ermittelt?

Bei der Bewertung kommt es stets auf die konkrete Art des Grundstücks und seine konkrete Benutzung im Einzelfall an. Es ist vor allem danach zu differenzieren, ob das Grundstück bebaut ist oder nicht. Ist das Grundstück mit einem Haus bebaut, muss auch differenziert werden, ob das Haus selbstgenutzt oder vermietet ist.

Gehörte dem Verstorbenen nur eine Hälfte des Hauses, war er rechtlich Miteigentümer. Da der Verkauf von Miteigentumsanteilen in der Praxis häufig Schwierigkeiten bereitet, nehmen die Sachverständigen und auch die Gerichte bei der Bewertung von Miteigentumsanteilen meist einen Abschlag vor.

Nach dem sog. Stichtagsprinzip ist der Verkehrswert des Grundstücks zum Zeitpunkt des Erbfalls maßgebend. Der Pflichtteilsberechtigte ist daher so zu stellen, als wäre das Grundstück zum Tag des Todes des Erblassers in Geld umgesetzt worden. Es gibt jedoch auch Ausnahmefälle, die eine Abweichung vom Stichtagsprinzip erlauben. Dazu müssen nicht nur vorübergehende, ungewöhnliche Verhältnisse vorliegen (z.B. besondere politische Ereignisse), die bereits zum Zeitpunkt des Erbfalls als nicht nur vorübergehend erkennbar waren und sich demnach auf den Preis der Immobilie auswirken. Dies ist nur ausnahmsweise der Fall.

Das vom Erben vorgelegte Wertgutachten ist grundsätzlich nicht bindend. Der Pflichtteilsberechtigte kann also auch nach der Wertermittlung einen höheren Wert darlegen und beweisen.

Was ist, wenn der Erblasser das Grundstück / die Immobilie bereits zu Lebzeiten verschenkt hat?

Hat der Erblasser das Grundstück zu Lebzeiten verschenkt, kann es nicht mehr im Wege der Erbfolge auf den Erben übergehen. Schenkungen, die der Erblasser zu Lebzeiten vorgenommen hat, können jedoch sogenannte Pflichtteilsergänzungsansprüche zugunsten des Pflichtteilsberechtigten begründen. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch muss grundsätzlich gegenüber dem Erben, nicht gegenüber dem Beschenkten (!), geltend gemacht werden. Zur Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs wird der verschenkte Gegenstand fiktiv dem Nachlass hinzugerechnet, wodurch sich der Pflichtteil des Pflichtteilsberechtigten erhöht. Dabei wird die Schenkung innerhalb des ersten Jahres vor dem Erbfall in vollem Umfang, innerhalb jedes weiteren Jahres vor dem Erbfall um jeweils ein Zehntel weniger berücksichtigt, das ist die sogenannte Abschmelzung. Sind zehn Jahre seit der Schenkung vergangen, wird die Schenkung bei der Berechnung des Pflichtteils- bzw. Pflichtteilsergänzungsanspruchs überhaupt nicht mehr berücksichtigt.

Doch Vorsicht: Schenkungen an den Ehegatten sind stets zu berücksichtigen! Hier beginnt die Zehnjahresfrist nicht vor der Auflösung der Ehe, die insbesondere durch den Tod erfolgt. Hat sich der Erblasser bei der Schenkung der Immobilie zudem ein Nießbrauchsrecht vorbehalten, beginnt die Zehnjahresfrist nach der Rechtsprechung nicht zu laufen, da der Erblasser das Grundstück trotz Schenkung weiter nutzt. Nur dann, wenn der Erblasser darauf verzichtet, das verschenkte Grundstück im Wesentlichen weiter zu nutzen, beginnt die Zehnjahresfrist zu laufen.

Bei Schenkungen unter Vorbehalt von Nießbrauchsrechten, Wohnungsrechten, Rückforderungsrechten oder einer dauernden Last kommt es zur Beantwortung der Frage, ob sich daraus Pflichtteilsergänzungsansprüche ergeben, stets auf die konkreten Umstände des Einzelfalles und auf die Kenntnis der aktuellen Rechtsprechung an. Lassen Sie sich hierzu unbedingt von RechtsanwältInnen bzw. FachanwältInnen für Erbrecht beraten.

Der Pflichtteilsberechtigte hat auch bei verschenkten Grundstücken einen Wertermittlungsanspruch. Er kann verlangen, dass der Wert des verschenkten Grundstücks als sogenannter fiktiver Nachlass bewertet wird. Dann muss der Sachverständige den Wert des verschenkten Grundstücks zum Stichtag Erbfall und auch zum Zeitpunkt des Vollzugs der Schenkung ermitteln. Der niedrigere Wert ist dann nach dem sogenannten Niederstwertprinzip heranzuziehen.

Was, wenn nachträglich Modernisierungen an der Immobilie vorgenommen wurden?

Da es für die Bewertung des Grundstücks auf den Stichtag des Erbfalls ankommt, sind nach dem Erbfall (vom Erben) vorgenommene Modernisierungen bei der Berechnung des Pflichtteils nicht zu berücksichtigen. Das Gesetzt folgt dem strengen Stichtagsprinzip. Aus Beweisgründen empfehlen wir daher, nachträglich vorgenommene Modernisierungen sorgfältig zu dokumentieren, damit im Streitfall genau nachgewiesen werden kann, welche Modernisierungsmaßnahmen zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers bereits umgesetzt waren und welche nicht.

Einfaches Beispiel zur Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs bei lebzeitiger Schenkung eines Grundstücks

Der Erblasser E. verstirbt und hinterlässt seinen Sohn S., seine Tochter T. und seine Lebensgefährtin L. Der Wert des Nachlasses beträgt EUR 200.000,00. Im Jahr 2001 hat der Erblasser seiner Tochter eine Immobilie im Wert von EUR 500.000,00 übertragen und sich den lebenslänglichen Nießbrauch an dieser Immobilie vorbehalten. Die Immobilie ist zum Zeitpunkt des Todes EUR 1.000.000,00 wert. Die Lebensgefährtin wurde durch Testament zur Alleinerbin eingesetzt, der Sohn ist enterbt. Der Nießbrauch ist EUR 200.000,00 wert.

Der Sohn hat einen ordentlichen Pflichtteilsanspruch wie folgt:

Wert des Nachlasses zum Zeitpunkt des Todes: EUR 200.000,00

Gesetzlicher Erbteil des Sohnes = 1/2,
Pflichtteil des Sohnes = Hälfte des gesetzlichen Erbteils = 1/4 von EUR 200.000,00
= Pflichtteilsanspruch von EUR 50.000,00

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch des Sohnes wird nun wie folgt berechnet:

Nachlass zum Zeitpunkt des Erbfalls: EUR 200.000,00

+ Schenkung: EUR 300.000,00
(= Wert des Grundstücks nach Niederstwertprinzip abzüglich Nießbrauch)

= Fiktiver Nachlass: EUR 500.000,00

Fiktiver Pflichtteilsergänzungsanspruch: EUR 125.000,00 (= 1/4 aus EUR 500.000,00)
abzüglich ordentlicher Pflichtteilsanspruch i.H.v. EUR 50.000,00

= Pflichtteilsergänzungsanspruch von EUR 75.000,00

Der Sohn kann in diesem Beispielsfall also einen ordentlichen Pflichtteilsanspruch in Höhe von EUR 50.000,00 und einen Pflichtteilsergänzungsanspruch in Höhe von EUR 75.000,00 geltend machen.

Anmerkung: Dieses Beispiel ist stark vereinfacht. Es soll lediglich die Rechenmethode veranschaulichen. In der Praxis wird häufig darüber gestritten, mit welchem Wert die Schenkung zu berücksichtigen ist. Es kommt der Wert zum Zeitpunkt der Schenkung und der Wert zum Zeitpunkt des Erbfalls in Betracht. Nach dem sogenannten Niederwertprinzip ist der niedrigere Wert zugrunde zu legen. Dann muss aber meistens noch eine Inflationsbereinigung vorgenommen werden. Auch die Bewertung des Nießbrauchs ist häufig streitanfällig. Überlassen Sie die korrekte Berechnung des Pflichtteils und des Pflichtteilsergänzungsanspruchs daher am besten FachanwältInnen für Erbrecht.

Fazit

Möchte der Erblasser nahe Angehörige enterben, die nach der gesetzlichen Erbfolge seine Erben wären und die zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten gehören (Kinder, Enkelkinder, Eltern und Ehegatten), muss deren Pflichtteil bei der Nachlassplanung berücksichtigt werden.

Der Erblasser kann den Pflichtteil auch nicht dadurch ausschließen, dass er sein Vermögen verschenkt, denn dann entstehen sogenannte Pflichtteilsergänzungsansprüche.

Befinden sich Immobilien im Nachlass oder wurden diese zu Lebzeiten verschenkt, wird häufig über deren Wert gestritten. Der Pflichtteilsberechtigte hat dann einen Anspruch auf Vorlage eines Sachverständigengutachtens, der rechtzeitig innerhalb der Verjährungsfrist von drei Jahren seit dem Erbfall geltend gemacht werden muss. Dabei obliegt allein dem Erben die Auswahl des Sachverständigen. Das vom Erben vorgelegte Sachverständigengutachten ist nicht bindend.

Wir als erfahrene Kanzlei für Erbrecht in München und Stuttgart beraten und vertreten sowohl Pflichtteilsberechtigte als auch Erben bei der Geltendmachung und Abwehr von Pflichtteilsansprüchen und Pflichtteilsergänzungsansprüchen. Aufgrund unserer jahrelangen Erfahrung mit Immobilien im Nachlass sind wir Ihr richtiger Ansprechpartner, wenn es um Bewertungs- und / oder Berechnungsfragen geht. Aber auch dann, wenn Sie ein Testament erstellen möchten oder lebzeitig die Übertragung von Immobilien beabsichtigen und dabei im Hinblick auf Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche optimal beraten werden möchten, sind wir Ihr richtiger Ansprechpartner.

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