Laut einer Studie der Deutschen Bank aus dem Jahr 2018 https://www.deutsche-bank.de/dam/deutschebank/de/shared/pdf/infodienst-q1-2019.pdf kennen sich nur 20% der potentiellen Erblasser und sogar nur 9% der künftigen Erben mit den Regelungen des deutschen Erbrechts aus. Besonders viel Aufklärungsbedarf in diesem Gebiet besteht unserer Erfahrung nach bei der Verwendung der Rechtsbegriffe "Vorerbe" und "Nacherbe". Erfahrungsgemäß verwechseln viele juristische Laien die Begriffe in der Weise, dass ein Ehegatte per Berliner Testament fälschlicherweise zum Vorerben eingesetzt und die Kinder zu Nacherben bestimmt werden, während eigentlich eine Einsetzung des Ehegatten zum Vollerben und die der Kinder zu Schlusserben gewünscht war.
Juristisch bestehen zwischen beiden Konstruktionen ganz erhebliche Unterschiede. Ein Vollerbe kann uneingeschränkt über den Nachlass verfügen. Ein Vorerbe ist hingegen ein Erbe der besonderen Art. Er unterliegt gesetzlichen Beschränkungen, erhält den Nachlass lediglich auf Zeit und muss ihn entsprechend der Anordnung des Erblassers zu einem bestimmten Zeitpunkt - dem Nacherbfall - an den Nacherben weitergeben. Man kann sagen, der Vorerbe ist ein Interimserbe. Mit Hilfe einer testamentarisch angeordneten Nacherbfolge kann der Erblasser also nicht nur von der gesetzlichen Erbfolge abweichen, sondern auch der Vermögensfluss über mehrere Generationen hinweg steuern. Juristen nennen diese Technik auch Familienbindung des Vermögens.
Ist in einer letztwilligen Verfügung eine Vor- und Nacherbschaft geregelt, fällt der Nachlass beim Tod des Erblassers zunächst an den Vorerben. Der Vorerbe darf dann über den Nachlass verfügen, aber nur soweit der Erblasser oder das Gesetz ihn dazu ermächtigen. Der Nacherbe kommt erst zum Zuge, wenn die Bedingung für den Nacherbfall eintritt. In der Regel ist der Bedingungseintritt der Tod des Vorerben. Möglich ist aber auch die Festlegung einer anderen Bedingung, zB der Abschluss einer Berufsausbildung oder ein anderes Lebensereignis. Im Zeitpunkt des Nacherbfalls fällt der Nachlass an den Nacherben. Dabei beerbt der Nacherbe nicht den Vorerben, sondern direkt den ursprünglichen Erblasser. Denkbar ist es auch, den Nacherben seinerseits wiederum zum Vorerben und weitere Personen zu Nacherben zu bestimmen. Das nennt man dann doppelte Vor- und Nacherbschaft. Eine Vor- und Nacherbschaft erreicht somit über die Staffelung mehrerer nacheinander geschalteter Erbfälle eine Bindung des Vermögens an die Personen, die der ursprüngliche Erblasser so festgelegt hat. Beide Personen - Vorerbe und Nacherbe - sind echte Erben. Sie kommen lediglich zu unterschiedlichen Zeitpunkten in den Genuss der Erbschaft. Mit der Anordnung einer Nacherbschaft sollte man nicht leichtfertig umgehen. Die Nacherbfolge kann sich nämlich bei der Bemessung der Erbschaftsteuer negativ auswirken. Zwar hat der Nacherbe bei Eintritt des Nacherbfalls ein Wahlrecht, ob er im Verhältnis zum Vorerben oder zum ursprünglichen Erblasser besteuert werden möchte. Er kann seinen Freibetrag beim Nacherbfall allerdings nur einmal geltend machen und nicht doppelt.
Ein Vorerbe unterliegt diversen Pflichten. Das BGB regelt diese in den §§ 2112 - 2115 BGB. Je nach Anordnung des Erblassers im Testament darf ein Vorerbe einmal mehr, einmal weniger frei über den ihm zugeteilten Nachlass verfügen. Der Umfang der Beschränkungen hängt vom Willen des Erblassers ab. Der Erblasser kann den Vorerben nur von einzelnen Pflichten oder aber per Generalanordnung insgesamt befreien. Lediglich für enge Bereiche, wie beispielsweise dem Verbot, Schenkungen aus dem Vorerbe zu tätigen, sieht das BGB keine Befreiungsmöglichkeit vor. Schweigt sich das Testament zu möglichen Befreiungen aus, gehen Juristen im Zweifel von einer nicht befreiten Vorerbschaft aus. Deshalb ist es wichtig, im Testament genau festzulegen, was der Vorerbe darf und was nicht. Ein nicht befreiter Vorerbe unterliegt diversen Beschränkungen. So darf er die Rechte des Nacherben nicht beeinträchtigen und beispielsweise ohne dessen Zustimmung kein Immobilienvermögen verkaufen.
Die wichtigsten Unterschiede zwischen einem befreiten und einem nicht befreiten Vorerben haben wir für Sie wie folgt gegenübergestellt:
Die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft macht nicht in jedem Testament Sinn. Sie sollte nicht zuletzt wegen ihrer weitgreifenden rechtlichen Folgen für den Ehegatten, die Kinder und für andere Erben gut überlegt sein. Sinnvoll ist die Anordnung einer Nacherbfolge in besonderen Familiensituationen. Möchten Eltern einer Patchworkfamilie ihre Vermögensnachfolge planen, ein Testament errichten und von der gesetzlichen Erbfolge abweichen, kann eine Vor- und Nacherbschaft in Betracht kommen. Mit ihrer Hilfe kann erreicht werden, dass die Erbschaft bei den zu Nacherben eingesetzten gemeinsamen Kindern ankommt. Die übergangenen Kinder aus früheren Beziehungen behalten dann zwar grundsätzlich ihr gesetzliches Erbrecht. Allerdings beziehen sich deren Ansprüche in diesem Fall immer nur auf das Eigenvermögen des leiblichen Elternteils und eben nicht auf das Vermögen, das der längerlebende Ehegatte vom Erstverstorbenen als Vorerbe erhalten hat. In der Regel wird der Ehegatte zum befreiten Vorerben eingesetzt und zeitgleich eine Testamentsvollstreckung auch über die Rechte der Nacherben angeordnet. Das führt für den längerlebenden Ehegatten zu wichtigen Abwicklungserleichterungen, wenn Vermögen aus dem Vorerbe veräußert werden soll. Auch bei Familien mit behinderten oder besonders bedürftigen Angehörigen macht die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft Sinn. Schließlich kann eine Kombination aus einer Einsetzung des behinderten Angehörigen zum nicht befreiten Vorerben mit einer lebenslang angeordneten Dauertestamentsvollstreckung den Zugriff Dritter und den des Sozialleistungsträgers auf das Erbe verhindern.
Ein Erbe, der nicht zum Vollerben, sondern lediglich zum Vorerben eingesetzt worden ist, muss dies nicht hinnehmen. Es besteht für ihn die Möglichkeit, das Erbe auszuschlagen und den Pflichtteil geltend zu machen. Diese Möglichkeit sieht das BGB in den Fällen vor, in denen einem Pflichtteilsberechtigten ein belasteter Erbteil zugeteilt worden ist. Dazu zählt die Einsetzung eines Nacherben. Der Vorerbe muss die Ausschlagung dann in der gesetzlich vorgeschriebenen Frist erklären. Sie liegt bei sechs Wochen (bei Auslandsbezug: bei sechs Monaten) ab Kenntnis vom Erbfall und von der letztwilligen Verfügung, aus der sich die Belastung in Form der Einsetzung eines Nacherben ergibt. Bei fristgerechter Ausschlagung gegenüber dem Nachlassgericht oder bei einem Notar steht dem Pflichtteilsberechtigten der Pflichtteil zu. Der Pflichtteil ist ein Geldanspruch in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs und muss binnen einer Verjährungsfrist von drei Jahren ab dem Schluss des Jahres, in dem der Erbfall liegt, erklärt werden.
Auch der Nacherbe hat die Möglichkeit, das Erbe entweder direkt nach Eintritt des Vorerbfalls oder später nach Eintritt des Nacherbfalls auszuschlagen. Dabei hat er regelmäßig deutlich mehr Zeit zur Verfügung als der Vorerbe. Die Ausschlagungsfrist ist für ihn zwar identisch lang wie beim Vorerben. Allerdings beginnt die Frist erst mit dem Nacherbfall zu laufen. Vorerbfall und Nacherbfall können viele Jahre auseinander liegen. Daher kann der Nacherbe die Dinge entspannt angehen und sich mit der Ausschlagung Zeit lassen. Aufpassen muss er allerdings darauf, dass ihm sein Pflichtteilsanspruch nicht inzwischen verjährt. Hier bleibt es nämlich bei der Dreijahresfrist. Die beginnt regelmäßig mit dem Schluss des Jahres, in dem sich der Erbfall ereignet hat. Ist sie abgelaufen, bevor der Nacherbfall eingetreten ist und wurde die Ausschlagung nicht rechtzeitig erklärt, verliert der Nacherbe seinen Pflichtteilsanspruch.
Die RechtsanwältInnen der Kanzlei RPE vertreten Sie sowohl nach Eintritt eines Erbfalls, als auch im Rahmen der Testamentsgestaltung und bevor ein Erbfall eingetreten ist.
Die Kanzlei RPE zählt zu Deutschlands führenden Kanzleien im Rechtsgebiet Erbrecht. Sowohl Julia Roglmeier, als auch Giuseppe Pranzo wurden ausgezeichnet als TOP Anwälte im Erbrecht.
Die Fachanwältin für Erbrecht Julia Roglmeier der Kanzlei RPE in München zählt zu Deutschlands führenden Experten auf dem Gebiet der Vermögensnachfolge und Vermögenssicherung. Sie steht seit mehreren Jahren auf Deutschlands großer Anwaltsliste und wurde 2024 erneut ausgezeichnet als Focus TOP Rechtsanwalt: Julia Roglmeier (Siegel Erbrecht) im Fachgebiet Erbrecht.
Mehr zur Methodik der FOCUS-Listen erfahren Sie hier.Auf PROFIL präsentiert die Omni Bridgeway AG, Anwälte, die das Unternehmen für die Besten auf ihrem jeweiligen Rechtsgebiet hält. Die Empfehlungen basieren auf persönlichen Erfahrungswerten des Versicherers aus der Zusammenarbeit mit dem mandatierten Anwalt. Die präsentierten Anwälte überzeugen nicht nur durch ihre fachliche Expertise, sondern bringen auch wertvolle Erfahrungen für die Prozessfinanzierung mit.
mehr erfahren© rp-erbrecht.de Rechtsanwälte für Erbrecht und Vermögensnachfolge in München und Stuttgart